Als der Regen kam 

Urs Augstburger

Wann haben Sie mit dem Schreiben begonnen?

Wohl als Kind, als ich zu lesen begann, auch wenn das paradox klingt. Ich verschlang Bücher geradezu, zehn in der Woche waren das jeweils. Von diesem Vorrat an Worten und Fantasien, den ich unbewusst aufgebaut habe, zehre ich heute noch. Mit zwanzig wurde ich dann Journalist, fünf Jahre später schrieb ich einen ersten Roman – der zum Glück unveröff entlicht blieb ...

Sie sind als Autor vor allem von Bergdramen und Bergthrillern bekannt geworden. »Als der Regen kam« ist ein ganz neuer Ansatz. Wie kam es dazu?

Das ergab sich schon fast natürlich aus meiner Lebensweise. Ich lebe ja nur zeitweise in den Bergen, sonst aber in einer kleineren Stadt bei Zürich. Für diese Liebesgeschichte schien mir das die richtige Umgebung. Diese Kleinstadt in uns allen – wie es ein Songwriter mal treff end nannte.

In Ihrem Roman spielt ein Jugendfest eine zentrale Rolle. Was hat es damit auf sich?

Das gibt es wirklich, dieses Fest, seit rund vierhundert Jahren, unverändert fast, hochtraditionell, im Städtchen, in dem ich aufgewachsen bin. Das Fest der Erinnerung. Es hat alle dort geprägt, und nicht immer im Guten. Das Jugendfest ist der wichtigste Tag im Jahr. Jeder Ort hat ja so etwas wie ein kollektives Gedächtnis, dieses Fest ist eine besondere Ausprägung davon.

Mythen und Legenden, Riten und Traditionen scheinen auf Sie eine besondere Anziehungskraft zu haben. Woher kommt das?

Riten und Traditionen sind wie die Armierungseisen im gesellschaftlichen Gerüst. Dauerhaft sind sie nur, wenn sie stets neu interpretiert werden. Man darf sie nie rückwärtsgewandten Traditionalisten und Nostalgikern überlassen, deshalb liegt mir daran, alte Mythen immer wieder neu und anders zu erzählen. Nicht zufällig spielt der letzte Roman der Bergtrilogie in der Zukunft und verbindet Berglegenden mit Science Fiction, vermeintliches Heimatidyll mit der Klimakatastrophe.

Wie und wo haben Sie für den Roman recherchiert?

Üblicherweise recherchiere ich sehr viel, diesmal weniger, ich habe ja alles selbst auch erlebt. Bis auf die Krankheit von Helen natürlich, aber auch die habe ich bewusst intuitiv beschrieben und erst im Nachhinein von Experten überprüfen lassen. Dann musste ich mich noch vergewissern,
ob dieses Fest schon vor Jahrzehnten so abgelaufen ist wie zu meiner Jugendzeit. Die Bestätigung dafür hatte ich schnell gefunden, in über hundertjährigen schriftlichen Dokumenten beispielsweise, in alten Filmen und Fotos.

In Ihrem Buch taucht immer wieder eine weißhaarige, zeitlos wirkende Frau auf. Was steckt dahinter?

Sie ist ein Symbol für unsere Sehnsüchte. Steht für jene große Liebe, die oft als unerreichbar gilt. Ich glaube, fast jeder begegnet ihr irgendwann, aber so manchem entgleitet sie. Aus Unachtsamkeit, aus Blindheit. Zugleich ist die weiße Frau ein Symbol für Vergänglichkeit und unbeirrbare Träume. Deshalb kann sich Mauro diesem Tanz mit ihr nicht
entziehen.

»Als der Regen kam« – handelt es sich dabei auch um eine ganz persönliche Geschichte?

Jeder meiner Romane hat viele persönliche Bezüge, dieses Buch in der Figur von Mauro etwas direkter als andere. Schlussendlich ist es aber doch die Geschichte von Helen und Jakob. Die Geschichte einer großen Liebe, die erst dann eine zweite Chance erhält, als es eigentlich schon zu
spät ist.

Haben Sie eine Lieblingsfigur in Ihrem Roman?
Eine Figur, der Sie sich besonders verbunden fühlen?

Am meisten vielleicht den beiden Hauptfi guren. Mauro Nesta, weil es zwischen seiner und meiner Geschichte Parallelen gibt; Helen Nesta, weil sie für jene Frauen steht, die vor fünfzig Jahren ihr Leben noch nicht nach ihren Wünschen gestalten konnten. Ich frage mich oft, was diese Frauen empfi nden, wenn sie sehen, welche Freiheiten und Möglichkeiten ihre Töchter und Enkelinnen heute haben.

Was dürfen wir in Zukunft von Ihnen erwarten?
Schreiben Sie derzeit wieder an einem neuen Roman?

Es gibt eine Idee für einen urbanen und erotischen Th riller, es geht um Abhängigkeit und Manipulation, um doppelte und falsche Identitäten. Aber ob es dann wirklich diese Geschichte sein wird, muss sich noch weisen. Ich traue ihr noch nicht ganz.